Ich habe vor Kurzem noch einmal „Titanic“ angeschaut und mich erinnert, wie ich damals mit Anfang zwanzig im Kino in romantischen Gefühlen versunken bin wie Leonardo di Caprio im eiskalten Wasser des Atlantiks. ,Ja, so muss Liebe sein,’ dachte ich mir ,überwältigend, bedingungslos und sogar über den Tod hinaus! Ich muss nur den Richtigen finden!’ Den netten Mann, der mich damals ins Kino eingeladen hatte rief ich nie wieder zurück. Leider blieb ich auch zwei weitere Jahre lang Single. Wer hätte auch diese unrealistischen Ansprüche erfüllen können? Heute weiss ich: Niemand.
Die Wunschvorstellung der romantischen Liebe ist ein ziemlich „alter Hut“. Sie entwickelte sich hauptsächlich aus der Tatsache, dass früher fast alle Ehen aus wirtschaftlichen Motiven und nicht aus Liebe geschlossen wurden. Da lag es nahe, dass sich Menschen von der -meist unerreichbaren- Vorstellung, irgendwo gäbe es für jeden die ganz große, einzige Liebe sehr angesprochen fühlten. Seit Jahrhunderten ist sie deshalb auch ein beliebtes Thema in unseren Klassikern der Literatur.
Man könnte also schlussfolgern, dass in unserer heutigen Zeit, in der wir – zumindest in unserem Kulturkreis – unsere Partner selber wählen dürfen der Traum von der romantischen Liebe nun an Bedeutung verloren haben müsste. Doch das Gegenteil ist der Fall: In fast allen großen Hollywoodfilmen, in zahlreichen Fernsehserien, in Romanen, in der Popmusik aber auch in der Werbung – fast überall wird sie uns als Ideal vor die Nase gehalten. Wir kommen fast gar nicht darum herum zu glauben, dass ohne die ganz großen Gefühle eine Beziehung überhaupt Sinn machen könnte.
Und genau da liegt leider der ‚Hase im Pfeffer‘. Das Ideal der romantischen Liebe kann zwei folgenschwere Irrglauben in uns erzeugen:
1. Liebe bedeutet Verliebtsein
Jeder von uns, der schon einmal schwer verliebt war weiss, dass es diese ganz großen Gefühle für einen anderen Menschen sehr wohl geben kann. Aber die meisten von uns wissen auch, dass dieser Gefühlsrausch (ich nenne es auch liebevoll ‚Hormonvergiftung‘) nach und nach abebbt und im günstigsten Fall nach ca. 2 Jahren einem Gefühl großer Verbundenheit Platz gemacht hat.
Viele Menschen verwechseln jedoch das Gefühl von Verliebtsein mit Liebe. Sie beenden eine Beziehung bereits dann, wenn die Verliebtheit nachlässt, ohne der Beziehung auf einer nächsten Stufe überhaupt eine Chance zu geben. Oder das Gegenteil passiert: Man heiratet schnell im Rausch der Gefühle weil man denkt, nun endlich die große Liebe und somit den richtigen Partner gefunden zu haben – ohne jemals deren Tauglichkeit ohne die rosarote Brille begutachtet zu haben.
2. Liebe ist ein anhaltender „Zauber“
Wie schon in der römischen Mythologie glauben viele, die Liebe träfe uns wie „Amors Pfeil“ und dieser Zauber hielte dann -sofern es denn dann der Richtige oder die Richtige sei- automatisch ein Leben lang an. Leider verleitet viele dieser Irrglaube dazu anzunehmen, an solch einer Beziehung müsse nie gearbeitet werden. Die Forschung kommt in diesem Punkt jedoch zu ganz anderen Ergebnissen: Der Pionier der Paarforschung, John Gottman, hat in seinen jahrelangen Studien mit Paaren herausgefunden, dass einer der wichtigsten Pfeiler einer Paarbeziehung eine tiefe Freundschaft ist, die natürlich auch gepflegt werden will!
In der Paartherapie begegnen uns immer wieder Paare, die nach vielen Jahren Beziehung darüber klagen, dass „die Liebe iregendwie weg sei“. An diesem Punkt ist es manchmal sehr hilfreich zu schauen ob der Unzufriedenheit vielleicht auch unerreichbare romantische Ideale zugrunde liegen. Das eröffnet die Chance, Beziehungen neu zu bewerten und Raum für andere Werte zu schaffen: Freundschaft, Verbundenheit und Vertrauen.
Photo by Руслан Гамзалиев on Unsplash
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